Die Vortagsbäckerei

Die Sonne brennt auf der Haut. Die lange Warteschlange vor dem Eisstand flimmert durch die aufsteigende Hitze des Asphalts und den parkenden Autos. Der Ausblick auf einen kühlen Ort in Dresden, ist wie eine Fata Morgana in der Wüste. Schwitzend trage ich meine Tochter nach Hause, begleitet vom ohrenbetäuben Lärm der Autos. Es ist unerträglich, um draußen zu sein.

 

Plötzlich höre ich Gitarrenklänge, begleitet von einer Trommel und Gesang. Die Klänge schwingen an der Ecke Kamenzer Straße und Bischofsweg. Sie kommen von der Tag 2 Bäckerei. Neugierig beschließe ich im Schatten der Bäckerei eine kühlende Siesta mit meiner Tochter zu machen.

Tag 2wo Vortagsbäckerei & Kulturcafé - Kamenzer Str. 42B, 01099 Dresden
Tag 2wo Vortagsbäckerei & Kulturcafé - Kamenzer Str. 42B, 01099 Dresden

Seit über einem Jahrzehnt existiert der kleine Laden, der mehr ein Café ist als eine Bäckerei. Bekannt ist die Tag 2 Bäckerei für seine Nachhaltigkeit. Sogar die National Geographic schrieb bereits einen Artikel über die Geschäftsidee. Hochwertige Backwaren und Süßspeisen werden am Tag zuvor von anderen Bäckereien gekauft und zuäußerst günstigen Preisen im eigenen Laden wieder angeboten. Die Lebensmittel bekommen so eine zweite Chance und landen dafür, aufgrund unserer verschwenderischen Konsumgesellschaft nicht im Müll. In Deutschland werden jährlich rund 7 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Dass ist Silvester auf dem Teller. Pro Kopf sind das sind ca. 80 kg. Zwar entstehen die meisten Lebensmittelverschwendungen in den privaten Haushalten, aber es ist auch wichtig, dass Lebensmittel, die nicht verdorben sind im Kreislauf der Wirtschaft bleiben.

 

Neuerdings bleiben die Gäste aber auch wegen etwas anderem, es gibt Live-Musik. Das ist neu, und zieht mehr Besucher*innnen an als zuvor. Vor der Bäckerei sitzen verschiedene Menschen: Eine Dame im Rollstuhl genießt genüsslich ihre Zigarette, eine andere Person spielt Trommel, während zwei Herren Gitarre spielen. Meine Tochter und ich gesellen uns zu ihnen und genießen ein erfrischendes Getränk. Im selben Moment kommt ein englischsprachiges Paar vorbei und fragen, ob sie miteinsteigen können. Ich erwidere auf besten English: „schur – wei nod?“. Der Mann holt seine Querflöte aus dem Rucksack und beginnt zu spielen. Ich beginne den alten Charme der Neustadt wieder zu spüren, ein Echo aus vergangenen Zeiten. Meine Tochter freut sich über den erfrischenden Szenenwechsel.

Die beiden Gitarristen sind Pepe und Lorenz und seit Anfang des Jahres (2023) die „Chefs“ der Tag2wo Vortragsbäckerei. Sie erzählen mir, dass sie das Geschäft von ihrem ehemaligen Chef Jens Scheina übernommen haben, der es wiederum von der damaligen Besitzerin Manuela Schopf, die Gründerin des Projekts Tag 2 übernahm. Sie beschreiben Scheina als einen inspirierenden Alleskönner. Hatte leider keine Zeit mehr für die Bäckerei, weil er sich um seine Höfe und sein Solarunternehmen kümmern will. Daher hat der alte Chef, die Leitung an seine ehemaligen Angestellten abgegeben.

 

„Puff, plötzlich waren wir die Chefs“ teilen mir Pepe und Lorenz mit. Vorher hatten sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Nun wollen sie ihre Chance nutzen um die Tag 2 Bäckerei nachhaltig weiterentwickeln. Ihre erste Maßnahme als neue Eigentümer war, ein Klavier in die Bäckerei zu stemmen.

 

Dank ihres Netzwerks ziehen Pepe und Lorenz viele Menschen an. Mittlerweile gibt es sieben Angestellte und mehrere Ehrenamtliche, die helfen. Die Gemeinschaft wächst. Pepe und Lorenz heben Hierarchien im Unternehmen auf und fassen Strukturen neu. Jeder kann mitbestimmen. Diese Veränderungen kommen gut an und sprechen sich herum. Die Tag 2 Bäckerei ist zu einem beliebten Treffpunkt geworden, eine Auffangstation für Ideen wie Pepe & Lorenz es mir beschreiben. Unabhängig vom Einkommen, tauschen sich die Menschen bei uns aus, dass lieben wir, wie Pepe und Lorenz mir mitteilen. Fast täglich fragt jemand nach, ob er hier arbeiten kann. Das war vor ihrer Übernahme nicht der Fall.

 

Auch wenn es Brötchen vom Vortag gibt, stimmen die Preise, und der Kaffee ist erschwinglich. Dieser wird sogar auf umweltfreundliche Weise mit einem Segelboot nach Deutschland geliefert. Die Tag 2 Bäckerei legt großen Wert darauf, dass ihr Angebot einen positiven Einfluss auf die Umwelt und das soziale Leben hat. Hier soll sich jeder etwas Besonderes leisten können. Durch den Verkauf der Backwaren entsteht eine nachhaltige Gemeinschaft, und die Live-Musik trägt zusätzlich zur Atmosphäre bei.

 

Die Tag 2 Bäckerei bringt nicht nur Vorteile für die Gemeinschaft, sondern auch für die Wirtschaft in Dresden, wenn auch in kleinem Maßstab. Der Weiterverkauf der Backwaren sorgt für Umsatz und verringert die Verluste in der Produktion. Dennoch werden hier keine konventionellen Industrieprodukte angeboten. Stattdessen werden ökologisch hergestellte Backwaren und Kuchen von kleineren Handwerksbetrieben zu erschwinglichen Preisen weiterverkauft. Dies unterstützt die regionale Wertschöpfung.

 

Ein Teil der Waren wird mit dem Fahrrad abgeholt, und für die Zukunft planen Pepe und Lorenz den Einsatz einer umgebauten Rikscha für den Transport. Außerdem sollen neue Produkte aus den Backwaren entstehen und angeboten werden. Zum Beispiel Rumkugeln, Knabbereien, Mehl, Backmischungen oder Semmelbrösel. Das Team denkt täglich darüber nach, wie sie noch nachhaltiger werden können. Die Gäste haben sogar die Möglichkeit, in die Tag 2 Bäckerei zu investieren. Hierfür wurde eine eigene Spendenaktion begonnen. Das soll den Ausbau unterstützen.

Preislich ist die Bäckerei so gestaltet, dass nur geringe Gewinnmargen erzielt werden. Dies reicht jedoch aus, um die Mitarbeiterinnen zu bezahlen und die Miete zu decken. Wir wollen nicht reich werden, sondern die Gemeinschaft bereichern sagen mir die beiden Chefs. So entsteht ein sozial und ökologisch nachhaltiger Kreislauf. Nicht jeder kann sich Bio leisten. Hier wird Nachhaltigkeit für alle möglich. Wenn jemand knapp bei Kasse ist, erhalten einige Gäste sogar einen Sonderpreis.

 

Die Tag 2 Bäckerei ist ein Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Hintergründe zusammenkommen, miteinander sprechen, Musik machen oder einfach nur entspannen. Hier gibt es kein auffälliges Ladenschild oder Werbung – nur die Bäckerei, Musik und herzliche Menschen.

 

Mittlerweile ziehen dicke Wolken auf. Jetzt ist es an der Zeit nach Hause zu gehen. Für meine Tochter und mich war die Unterhaltung und die Musik ein erfrischendes Erlebnis. Es tut gut Menschen zu sehen, die aktiv versuchen, nachhaltige Strukturen aufzubauen. Das ist nicht leicht in Deutschland. Pepe und Lorenz erzählen mir, dass sie neue Bäckereien finden müssen, die sie mit Waren versorgen. Ein größeres Unternehmen kaufte zwei der Bäckereien. Der neue Besitzer möchte die Waren nicht an die Tag 2 Bäckerei weiterverkaufe. Die Ware vom Vortag wird einfach weggeworfen, statt es an die Tag 2 Bäckerei weiterzuverkaufen. Das ist schädlich für die Umwelt aber leider Alltag in Deutschland. Laut dem Umweltbundesamt investiert der Staat Milliarden an klimaschädlichen Subventionen, wie dem Verkehr und das Bauwesen. Diese umweltschädlichen Förderungen werden von unseren Steuern finanziert und haben negative Auswirkungen auf nahezu sämtliche Umweltaspekte. Wäre die Finanzpolitik nicht von der Politik gelenkt, sondern von den Bedürfnissen der Menschen geleitet, gäbe es weniger Luftverschmutzung in den Städten, gäbe es mehr Grünflächen, die uns Schatten spenden und die Tag 2 Bäckerei könnte sich auf klimafreundlichen Subventionen freuen.

 

Ein Anfang könnte es sein, wenn die Stadt Dresden sich stärker für nachhaltige Akteure einsetzt und zum Beispiel die Spendenaktion der Tag 2 Bäckerei unterstützt. Das stärkt die Gemeinschaft und leistet einen Beitrag für den Umweltschutz. Im ganzen wäre das zwar immer noch ein Tropfen auf die heiße Kohle. Aber es gibt nichts Gutes außer man tut es.

Lorenz                                                                               Pepe