Mirko hat Rücken im Wind

Siehst du den Horizont?
Direkt überm Boden fängt der Himmel an
Und wär ich dort, dann würd ich wetten, dass ich ihn erreichen kann
Doch hier hat es den Anschein
Bin ich dafür zu klein. (Thomas D.)

 

Diese Zeilen entspringen dem Lied "Rückenwind" von Thomas D. Ein Song auf Mut, Selbstbewusstsein und die Suche nach Glück und Freiheit. Es ist mein Favoritenstück, doch neuerdings verwebt sich in meinen Gedanken stets das Bild von Mirko anstelle von Thomas von den Fantastischen Vier. Mirko, ein Lebenskünstler mit einem großzügigen Herz, wird zur Leitfigur für alle, die nach einem höheren Sinn in ihrem Dasein suchen – ein Sinn, den Mirko für sich selbst entdeckt hat. Die Erklärung, wie ihm das gelungen ist, entzieht sich weitgehend meiner verbalen Umklammerung.

Unsere erste Begegnung manifestierte sich am Martin-Luther-Platz in der Dresdner Neustadt. Einige Tage zuvor hatte ich sein unübersehbares, gelbes Dreirad erblickt – vermutlich ein Unikat auf dieser Welt. Und wenn Mirko darauf Platz nimmt, strahlt es noch gelber, denn Mirko ist ein Gelbmensch, ein Wesen, das nach Freude und Helligkeit strebt. Gelb durchdringt beinahe seinen gesamten Besitz, als lebendiges Bekenntnis zu dieser Farbe. Mirkos Lebensweise weckte meine Neugier, und so wagte ich die Frage nach seinem Domizil. Er lud mich ein, ihn in seinem temporären Zuhause zu besuchen, auf dem Wagenplatz hinter dem Bahnhof Neustadt. Dort, zwischen den dunkelgrauen Bussen, offenbarte sich Mirkos Wohnstatt: ein alter Linienbus in der Farbe – raten Sie mal – ja, der Farbe Gelb. Mehr als der umgebaute Bus mit Liegewanne, großer Küche und Bett, berührte mich Mirkos Lebensgeschichte. Er hat zahlreiche Verluste erlitten – Alkohol, Ehestreit, Jobverlust und Insolvenzen sind nur einige der schmerzhaften Etappen seines Lebens.

Doch was ihn unaufhörlich aufstehen lässt, ist die Liebe zu seiner Tochter. Dies spüre ich, wenn Mirko von ihr spricht. Trotz seiner Lebensgeschichte verfügt Mirko über einen scharfen Verstand und Intellekt. Er weiß, was er will – ein Wille, der die Farbe Gelb repräsentiert. Seit unserer Unterhaltung kann ich bei Gelb nicht mehr nur an die Sonne denken, sondern vor allem an Mirko. Besonders beeindruckt hat mich sein zukunftsgerichteter Blick, sein Entschluss, nicht mehr zu leiden, sondern zu reisen – ohne Trübsal und Wehmut. Mit geringem Budget erwarb er einen gebrauchten Bus und gestaltete ihn um, teils allein, teils mit Freunden. Mit diesem Bus fuhr Mirko in eine "Kommune" nach Portugal, wo er Freiheit vermutet.

 

 

Was mich an seiner Geschichte am meisten beeindruckt, ist Mirkos Fähigkeit, nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Er kleidet sich nach seinem Gefühl und handelt danach. Er verkörpert den kategorischen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

 

Ich glaube, ich spreche für viele, wenn ich sage, dass wir alle mindestens eine Krise erlebt haben und es nicht immer leicht ist, nach vorne zu blicken und neuen Mut zu fassen. Als Geograph, der Klimarisiken studiert hat, begegne ich fast täglich globalen Krisen. Dennoch habe ich durch die Begegnung mit Mirko gelernt: Wenn dir das Wasser bis zum Hals steht, solltest du nicht den Kopf hängen lassen.

 

 

Wenn ich jetzt gelb sehe, denke ich an Mirko und wenn ich an Mirko denke, spüre ich den Rückenwind. Das ist eine Einstellung, die mir gefällt. Ich fühle mich leichter und so möchte ich auch die Dinge im Leben angehen.

 

 

Danke Mirko.